Verortung & Perspektive _25

Gleichstand 19. Juni 2022

Amia Srinivasan
(*1984) 

Das Recht auf Sex
Feminismus im 21. Jahrhundert
Aus den Englischen übersetzt von Claudia Arlinghaus und Anne Emmert.
J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart 2022

Originalausgabe:
»The Right to Sex«
Bloomsbury Publishing, London, Oxford, Dublin, New York 2021

Feminismus ist keine Philosophie, keine Theorie, ja, nicht einmal eine Anschauung. Er ist vielmehr eine politische Bewegung, die die Welt bis zur Unkenntlichkeit verändern soll. Der Feminismus fragt: wie sähe die Welt aus, wenn wir der politischen, gesellschaftlichen, 
sexuellen, wirtschaftlichen, psychischen und physischen Unterordnung der Frauen ein Ende setzen? Er antwortet: Wir wissen es nicht; probieren wir es aus!

Diese Essays handeln von Politik und Ethik der Sexualität in dieser Welt und sind getrieben von der Hoffnung auf eine andere Welt. Sie beziehen sich auf eine ältere feministische Tradition, in der sich frau nicht fürchtete, Sex als ein politisches Phänomen zu betrachten, als etwas, das fest in der Sozialkritik verankert ist.

In diesen Essays berücksichtige ich überwiegend die Situation in den USA und in Großbritannien, teilweise auch in Indien. In dieser Schwerpunktsetzung spiegelt sich meine Herkunft, es ist aber auch eine gezielte Entscheidung.

In diesen Essays halte ich mich daher, wo notwendig, im Unbequemen und Ambivalenten auf. Diese Essays bieten kein Zuhause. Doch ich hoffe, sie geben hier und da Gelegenheit zum Wiedererkennen. Man kann die Essays einzeln oder als Buch lesen.
Sie sollen niemanden überzeugen oder umstimmen, auch wenn ich nicht unglücklich wäre, wenn es ihnen gelänge. Vielmehr unternehme ich darin den Versuch, in Worte zu fassen, was viele Frauen und Männer bereits wissen.

Allzu oft allerdings abstrahiert feministische Theorie von den Besonderheiten im Leben der Frauen und doziert von oben herab, was ihr Leben tatsächlich zu bedeuten habe. Die meisten Frauen können mit solcher Überheblichkeit wenig anfangen. Dafür haben sie einfach zu viel zu erledigen.

Kontrapunkt

Sophie Milman (*1983) : The Man I Love (George & Ira Gershwin)

Perspektive 25

Das Recht auf Sex.
Das ist ist keine erotische Literatur.
Das ist ein Buch über Erotik. Sexualität. Pornografie. Kapitalismus.
Das ist ein philosophisches Buch über Geschlecht. Gender. Verführung. Nötigung. Vergewaltigung. Sexarbeit.

Das ist ein Buch von Amia Srinivasan.
Geboren in Bahrein. Als Tochter indischer Eltern in Taiwan, Singapur & New York aufgewachsen.
Studium der Philosophie in Yale. Promotion in Oxford.
Amia Srinivasan ist seit 2020 Professorin für »Social and Political Theory« an der »University of Oxford«.

Amia Srinivasan schrieb ihr erstes Buch. Das Recht auf Sex.
Amia Srinivasan schrieb einen Bestseller. Einen unbequemen wie streitbaren Verkaufserfolg.
Amia Srinivasan schrieb ein politisches Buch. Gegen den Strich Gedachtes. Über gesellschaftliche Normen.

Amia Srinivasan schrieb über:

• Die Verschwörung gegen die Männer.
• Gespräche mit Studierenden über Pornografie.
• Das Recht auf Sex.
• Warum man nicht mit seinen Studenten schlafen sollte.
• Sex, Karzeralismus, Kapitalismus.

Amia Srinivasan schrieb ein Buch über die Macht. Machtverhältnisse. 
Zwischen Mann & Frau. Haus & Hof. Kind & Kegel. Sack & Pack.
Hab & Gut. Haut & Haar. Tauschen & Betrügen. Heller & Pfennig.
Frauen ohne & mit Schatten. Herrenreiter & Herrentoiletten.
Hans & Hänschen. Schöne & Biester. Narren- & Rotkäppchen.
Leib & Seele. MeToo & YouPorn. Samt & Seide. Kopf & Kragen.
Salz & Pfeffer. Stock & Stein. Glanz & Gloria. Menschen & böse Lieder.
Himmel & Hölle. Gott & Welt. Schimpf & Schande. Rotz & Wasser.
Blut & Boden. Kimme & Korn. Wein & Gesang. Maul & Gaul. Feiß & Preis.
Silberreden & Goldschweigen. Kindermund & Wahrheit. Vatersprache & Mutterland.
Lügen & kurze Beine. Bellende & beißende Hunde. Aller Laster Anfang & Müßiggang.

Täglich begegnen wir der Macht. Den Machtverhältnissen.
Täglich ringen wir mit der Macht. Und Machthabern.
Täglich mißtrauen wir der Macht. Und Machtmenschen.
Täglich folgen wir der Macht. Den Machtansprüchen.
Täglich verweigern wir uns der Macht. Täglich ergeben wir uns der Macht.

Täglich warnt uns gar Wikipedia. Was Macht ist, war, sein könnte: 

»Macht bezeichnet die Fähigkeit einer Person oder Gruppe, 
auf das Denken und Verhalten einzelner Personen, 
sozialer Gruppen oder Bevölkerungsteile so einzuwirken, 
dass diese sich ihren Ansichten oder Wünschen unterordnen und entsprechend verhalten.«

Macht als Sex.
Sex als Macht.
Sex als Sand im Getriebe.
Sex als Rede mit kurzem Sinn.
Sex als Wasser auf Mühlen.
Sex als Speck für Mäuse.
Sex als Tropfen auf den heißen Stein.
Sex als Wurm für den frühen Vogel.
Sex als Übung für den Meister.
Sex als Kampf gegen Windmühlen.
Sex als Regel ohne Ausnahmen.
Sex als Torheit im Alter.
Sex als Öl im Feuer.
Sex als Gold im Munde. Ohne Morgenstunde.
Sex als Recht. Und Unrecht. Überall. Jederzeit. 

Über letzteres kann Mann/Frau bei Amia Srinivasan folgendes lesen (zum Beispiel): 

»Der Begriff – „involuntary celibate“, einer, der „unfreiwillig zölibatär“ lebt – lässt sich theoretisch
auf Männer und Frauen anwenden, bezieht sich in der Praxis jedoch nur auf bestimmte Männer,
die keinen Geschlechtsverkehr haben: solche nämlich, die fest davon ausgehen, dass ihnen Sex zustehe,
und die von einer Wut gegen Frauen erfüllt sind, weil diese ihnen Sex vorenthielten.
Der 22jährige College-Abbrecher Eliot Rodger erstach seine beiden Mitbewohner Weihan Wang und Cheng Hong
sowie deren Freund George Chen, als sie seine Wohnung in der Seville Road in Isla Vista, Kalifornien betraten.
Wenige Stunden später fuhr er zum Haus der Studentinnenverbindung Alpha Phi unweit vom Campus 
der University of California, Santa Barbara. 
Vor dem Gebäude schoß er auf drei Frauen, von denen zwei, Katherine Cooper und Veronika Weiss, starben. 
Anschließend fuhr Rodger, willkürlich aus dem Auto schießend, durch Isla Vista, 
tötete in einem Deli Christopher Michaels-Martinez, ebenfalls Student an der UCSB, mit einer Kugel in der Brust 
und verletzte vierzehn weitere Menschen.
Am Ende fuhr er mit seinem BMW Coupé in eine geparktes Auto, nachdem er sich selbst einen Kopfschuss versetzt hatte.«

In einem vor der Tat von Rodger persönlich hochgeladenen Video („Twisted World: The Story of Elliot Rodger“) erklärte er u.a.:
„Ich wollte doch immer nur dazugehören und glücklich sein, aber ich wurde ausgegrenzt und abgewiesen,
in ein einsames und unbedeutendes Leben gezwungen, und das alles nur, 
weil der weibliche Teil der menschlichen Spezies unfähig war, meinen Wert zu erkennen. (…)
Warum schaffte es ein minderwertiger hässlicher Schwarzer, ein weißes Mädchen zu bekommen, und ich nicht?
Ich sehe gut aus und bin selbst halb Weißer. Ich stamme von der britischen Aristokratie ab. ER stammt von Sklaven ab.“

Wie & warum & weshalb konnte/musste es dazu kommen?
Wie & womit & wodurch können/müssen wir derartiges verhindern?
Wie & wann & womit können/müssen wir die richten Fragen diesbezüglich stellen?

Amia Srinivasan schrieb ein Buch über die Macht. Machtverhältnisse.
Über Gewohntes & Gewohnheiten. Verliebte & Ungeliebte. Brauch & Missbrauch. Bares & Unsichtbares.
Über Gewalt & Vergewaltigung. Macht & Ohnmacht. Traum & Traumatisches. Freien & Befreien.
Amia Srinivasan schrieb über uns. Und andere. Über Wiesen- & Abgründe. In uns. In anderen. Um uns. Um andere.

Wer hat Angst vor Amia Srinivasan (Virginia Woolf)?
Niemand.
Hoffentlich.

(Renald Deppe)

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