Verortung & Perspektive _50

Berufsstand 11. Dezember 2022

Thomas Mann 
(1875 – 1955)

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull 
In der Fassung der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe
Thomas Mann, Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher, Band 12
Herausgegeben von: Thomas Sprecher,  Monica Bussmann
Fischer Taschenbuchverlag, Berlin 2014

Thomas Mann krönt sein umfangreiches Romanwerk mit der Hochstaplergeschichte von Felix Krull. Die sprachliche Eleganz dieser fiktiven Autobiographie, ihre ironische Doppelbödigkeit erweisen ebenso wie Krulls Handeln, dass er »der Gott der Diebe« ist. Ein Tausendsassa, der jeder neuen und unerwarteten Situation gewachsen ist. 

Kein anderes Werk hat Thomas Mann über einen so langen Zeitraum beschäftigt wie der Krull-Roman. Begonnen 1910, erschien der Roman 1954 und begleitete damit beinahe das gesamte schriftstellerische Leben des Autors. 

Im Rahmen der ›Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe‹ wurde der Text, unter Berücksichtigung sämtlicher Überlieferungen im Nachlass, vollständig neu ediert.

(Klappentext)

Johannes Brahms (1833 – 1897) : 3 Intermezzi für Klavier, Op. 117 Nr. 2 : Andante con moto e molto espressione 

Perspektive 50

Die Welt von Gestern ist stets auch ein Teil einer Welt der Gegenwart & Zukunft.
Die Erzählkunst der von Thomas Mann verschrifteten Zu- & Umstände ist in der Welt von Gestern verortet.
Und berichtet somit stets auch über einen Teil der Welt der Gegenwart & Zukunft.

Kein anderer Schriftsteller ist bereits zu Lebzeiten so verleumdet, beneidet, verachtet & marginalisiert worden.
Und bewundert. (Th. Mann erhielt 1929 den Literaturnobelpreis.)
Auch die Gegenwart (und wahrscheinlich die Zukunft) verkennt, verspottet, verunglimpft Werk & Person.

Und doch wird besonders sein Schaffen insgeheim wie provokant öffentlich bewundert, gepriesen & bestaunt.
„Genie ist Fleiß“ verlautbarte einst sein Dichterkollege Theodor Fontane (1819 – 1898).
Thomas Mann war ungemein diszipliniert, zielstrebig auf sein Schaffen fokussiert und: fleißig.

Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: Ein Klassiker. Ein Meisterwerk.
Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: Eine Welt von Gestern. Und trotzdem Literatur ohne Ablaufdatum.
Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: Ein stilistisches Feuerwerk. Keine bildungsbürgerliche Asche.

Thomas Mann schildert in seinem Roman alle Abgründe & Begehrlichkeiten humaner Befindlichkeiten.
Thomas Mann benennt liebevoll mit viel Humor & Witz all das täglich Hochgestapelte unseres Seins.
Thomas Mann vermeidet charmant Zeigefinger-Schuldzuweisungen und moralinsaure Rezepturen.

Selten ist in der deutschsprachigen Literatur solch eine betörende Wunderkammer der Todsünden zu finden.
Wissend um die Unvollkommenheiten des Mängelwesen Mensch erinnert Th. Mann uns zumeist gütig an diese.
Wir alle sind oftmals genötigt zu lügen, zu täuschen, zu verbergen, zu verschweigen, zu stehlen &: hochzustapeln.

Sein & Schein. Lug & Trug. Lust & Frust. Sehnsucht & Begehren. Alles hat hier seinen Platz. Und vieles mehr.
Trotzdem leuchtet hinter all den Vergeblichkeiten & Verirrungen des Lebens tröstlich die Hoffnung auf Wahrhaftes & Vergebung.
Denn ohne die oftmals belächelten Begriffe wie „Gnade“ & „Güte“ bricht der Mensch in seiner Ohnmacht zusammen. 

Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: ein subtiles Plädoyer zum Respekt für die Minderleistungen der Hochleistenden.
Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: eine magische Reise in (ver)störende Innen- & Außenwelten. 
Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: eine weise Eulenspiegelei über all die großkleinen Monster in & um uns.

Hochstapler: Person, die in betrügerischer Absicht den Eindruck erwecken möchte, eine höhere gesellschaftliche Stellung innezuhaben.
Bekenntnis: das (Sich)bekennen, (Ein)Geständnis.
Unsere Gegenwart kennt viele Hochstapler und wenig Bekenntnisse.

Heute versuchen Hochstapler in Politik, Wirtschaft & den Medien den Lauf der Dinge (entscheidend) zu beeinflussen.
Ohne jedweden ethischen Skrupel wird die Vortäuschung falscher Tatsachen vorbehaltlos angestrebt, gefeiert & kultiviert.
Der spanische Philosoph Fernando Savater bringt die Nöte des aktuell herrschenden Zeitgeistes auf den Punkt: 

In den letzten hundert Jahren ist die Information zur Achse der Gesellschaft geworden. Die Mächtigsten sind die, die Informationen aus erster Hand haben, und ihre Macht ist größer als die derer, die viele greifbare Güter besitzen. Es gibt einen Unterschied zwischen denen, die Informationen zu den andern bringen, und denen, die sie empfangen. Diese Unterschiede sind entscheidend, und da kommt die Wahrheit als Schlüsselthema ins Spiel.
Wir alle wissen, dass Information keine absoluten Wahrheiten bieten kann. Das Gebiet der Information ist nicht dasselbe wie das der Meinung. Die Medien müssen klar trennen zwischen der Weitergabe von Informationen, bei der sie sich weitgehend an die objektiven Tatsachen halten sollten, und der Äußerung von Meinungen, die subjektiv sind, Interpretationen, die eine Unterschrift tragen.
Wahrheit ist eine Angleichung dessen, was wir verstandesmäßig als Wirklichkeit erfassen, und dem, was wir sagen oder erzählen.

(Aus: »Die Zehn Gebote im 21. Jahrhundert, 2004)

Tiefstapler: Person, die untertreibt, die vorgibt, weniger zu sein und zu können, als sie ist und kann.
Diese Spezies soll es gegeben haben. Soll es angeblich noch geben. Wird es vermutlich stets geben?
Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

(Renald Deppe)

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