Verortung & Perspektive _44

Bestand 30. Oktober 2022

Martin Mosebach
(*1951)

Die 21 
Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer
Rowohlt Taschenbuchverlag, Hamburg 2021

Im Frühjahr 2017 reiste Martin Mosebach nach Ägypten.
Er besuchte im Dorf El-Or die Familien der 21 koptischen Männer, die 2 Jahre zuvor von IS-Terroristen an einem Strand in Libyen ermordet worden waren.
Er saß in Empfangszimmern, durch die die Schwalben flogen, und machte sich ein Bild: von den Madonnenbildern und Jesus-Portraits an den Wänden, den grob geschreinerten Reliqienschränken, von einer Lebenswelt, in der alles Spiegelung oder Erfüllung biblischer Vorgänge ist.
Immer wieder wurde ihm, umgeben von Kindern, Ziegen, Kälbern, auf einem iPad das grausame Propagandavideo des IS vorgeführt: er staunte über den unbefangenen Umgang damit.
Von Rache war nie die Rede, sondern vom Stolz, einen Märtyrer in der Familie zu haben, einen Heiligen, der im Himmel ist.
So erscheinen die 21 auf den Ikonen gekrönt wie Könige.
Martin Mosebach hat ein Reisebuch geschrieben über seine Begegnung mit einer fremden Gesellschaft und einer Kirche, die den Glauben und die Liturgie der frühen Christenheit bewahrt hat – der »Kirche der Märtyrer«, in der das irdische Leben von der himmlischen Sphäre nur wie ein Eihäutchen geschieden ist. Er traf den Bischof und die koptischen Geistlichen der 21 Wanderarbeiter, besuchte ihre Kirchen und Klöster.
In den Zeiten des Kampfes der Kulturen sind die Kopten als Minderheit im muslimischen Ägypten zu einem politischen Faktor geworden – und zu einer Art religiösen Gegengesellschaft.
Damit ist dieses Buch auch ein Bericht aus dem Innenleben eines arabischen Landes zwischen biblischer Vergangenheit und den Einkaufszentren von Neu-Kairo.

(Klappentext)

Kopten [arabisch qubṭī, qibṭī, von griechisch Aigýptios »Ägypter«], die christlichen Nachkommen der Ägypter des Altertums. 
Die Kopten sind in der Mehrzahl orthodoxe Christen und gehören der koptischen Kirche an. 
Sie leben besonders in dem Abschnitt des Niltals zwischen El-Minja und Kena sowie in Kairo und Alexandria als Kaufleute, Schreiber, Beamte und (Kunst-)Handwerker; die auf dem Land lebenden koptischen Bauern haben viele altägyptische Sitten und Gebräuche bis heute bewahrt. Gesicherte statistische Angaben über die Zahl der Kopten gibt es nicht; nicht amtliche Schätzungen gehen von einem Anteil von rund 10 % Kopten an der Bevölkerung Ägyptens aus.

(Brockhaus)

Byzanz : Drei Heilige Hymnen (Musik der orthodoxen Kirchen)

Perspektive 44

Aus der Römischen Reichskirche (bis 431/433) entstanden im nahen & fernen Osten der christlichen Siedlungsgebiete z. B. folgende Glaubensrichtungen im frühen Christentum:
Maronitische Kirche, Assyrische Kirche des Ostens (Nestorianer), Syrisch-Orthodoxe Kirche (Jakobiten), Koptisch-Orthodoxe Kirche, Äthiopische-Orthodoxe Kirche, Armenische Orthodoxe Kirche, Autokephale orthodoxe Kirchen, die Byzantinisch Orthodoxe Kirchen…

Wir (glauben zu) kennen die Römisch-Katholische Kirche.
Wir (glauben zu) kennen die Kirchen der Reformation. Die protestantischen Konfessionen.
Wir (glauben zu) kennen die christlichen Staatskirchen, den römisch verwalteten Katholizismus.

Wir Westeuropäer (glauben zu) kennen: die spirituellen Werte und Traditionen europäischer Glaubenswelten. 
Wir Westeuropäer (glauben zu) kennen: die Irrungen, Verwirrungen, Fehlleistungen, Gottlosigkeiten europäischer Kirchenmächte.
Wir Westeuropäer (glauben zu) kennen: die Verzichtbarkeiten, Bigotterien, Götzendienste, den Staub europäisch-christlicher Riten.

Glauben heißt nicht wissen.
Nicht wissen heißt etwas zu glauben. Oder auch nicht.
Etwas zu kennen ist die Voraussetzung etwas zu wissen. Etwas zu glauben. Oder auch nicht. 

Was kennen wir von den Ostkirchen um etwas über sie zu wissen?
Was kennen wir von den Ostkirchen um etwas über die Kraft ihres Glaubens zu spüren?
Was kennen wir von den Ostkirchen um etwas über die Situation christlicher Minderheiten zu erfahren?

Martin Mosebach setzt Kontrapunkte wider den Zeitgeist.
Martin Mosebach setzt wertbewahrende Kontrapunkte wider den kaltglanzmodernen Zeitgeist.
Martin Mosebach setzt unbequeme Kontrapunkte wider den komfortbetonten eurozentrischen Zeitgeist. 

Martin Mosebach beobachtet.
Martin Mosebach beobachtet und verschriftet ohne Recht haben zu wollen. Ohne zu richten.
Martin Mosebach beobachtet und dokumentiert Bilder aus uns fernen (Glaubens)Welten. Ohne Schuld- und Huldzuweisungen.

Martin Mosebach läßt uns an das Eigene denken. Indem er uns das Fremde näherbringt. 
Martin Mosebach läßt und das Fremde erahnen. Indem er uns an das Eigene erinnert.
Martin Mosebach lädt ein: zum (Über)Denken, zum (Nach)Spüren, zum Staunen, zum Spurenlesen.

Das Institut zur Verbesserung der Lage erlaubt sich die geneigte Leserschaft zu informieren.
Ohne missionarischen Eifer. Ohne Kirchensteuergedanken. Ohne jüngste Gerichtsurteile.
Zum Beispiel:     

Ostkirchen, Sammelbezeichnung für die christlichen Kirchen, die nach der endgültigen Teilung des Römischen Reichs (395) zu dessen Osthälfte gehörten, nach der Reichsteilung dort sowie in den Grenzgebieten jenseits der östlichen Reichsgrenzen entstanden beziehungsweise von dort aus durch Mission gegründet worden sind; als regionalisierende Bezeichnung heute überholt, da infolge von Migration und Emigration fast alle Ostkirchen auch in Mittel- und Westeuropa, Amerika und Australien verbreitet sind. 
Nach ihrer Glaubenslehre und Geschichte werden folgende, zum Teil sehr verschiedene Kirchen und Kirchengruppen unterschieden: 
1) die im byzantinischen Kulturkreis entstandene orthodoxe Kirche, 
2)  die orientalischen Nationalkirchen, die auch als altorientalische Kirchen bezeichnet werden, 
3)  die ostsyrische Kirche (Nestorianer), 
4)  die Kirchen und Gemeinschaften, die sich in den letzten Jahrhunderten von den unter 1) bis 3) genannten Kirchen gelöst, sich dem Papst unterstellt haben und als unierte Ostkirchen (konfessionskundliche Bezeichnung: katholische Ostkirchen) Teilkirchen der katholischen Kirche bilden (griechisch-katholische Kirche; unierte Kirchen).  
Die unierten Ostkirchen bewahren in ihrer Liturgie und Spiritualität weitgehend und im Kirchenrecht teilweise die Traditionen ihrer orthodoxen beziehungsweise orientalischen Mutterkirchen. 
Die zwischen den unter 1) bis 3) genannten Ostkirchen bestehenden theologischen und kulturellen Unterschiede haben ihren geschichtlichen Ausgangspunkt v. a. in den christologischen Auseinandersetzungen im 5./6. Jahrhundert, aber auch in ethnischen Unterschieden (z. B. der Syrer, Kopten, Armenier), die ebenfalls ein wesentlicher Anlass für die Trennung von der griechisch bestimmten byzantinischen Reichskirche waren. Allen Ostkirchen gemeinsam ist die Bindung an die frühkirchliche Tradition, die davon abgeleitete episkopal-synodale Struktur und die starke Betonung der Liturgie. 

(Brockhaus)

Das Institut zur Verbesserung der Lage warnt vor Ignoranz, Dominanz, Börsentanz, Mummenschanz, Firlefanz. 
Das Institut zur Verbesserung der Lage warnt vor Selfmadegötter & Himmelspötter, Marktheilige & Grundbuchheilige.
Das Institut zur Verbesserung der Lage empfiehlt Martin Mosebach zu lesen. Und natürlich »Andere & Anderes« auch.
Das Institut zur Verbesserung der Lage empfiehlt Kontrapunkte. Ohne Not- und Todsündenverweise. Ohne Wut- & Gluteifer.

Vielleicht nicht immer. Aber immer öfter…

(Renald Deppe)


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