Verortung & Perspektive _29

Ibn Battuta

Erich Follath
Justin Marozzi
Tamim Ansary

Wissensstand 17. Juli 2022

Ibn Battuta  
(1304 – 1368) 

Die Wunder des Morgenlandes
Reisen durch Afrika und Asien (1325 – 1358)
Nach der arabischen Ausgabe von Muhammad al-Bailuni ins Deutsche übertragen,
kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Ralf Elger. Verlag C.H. Beck, München2010

 Der Sultan von Mul-Java ist ein Ungläubiger. Eines Tages während eines Empfangs am Hof dieses Sultans erblickte ich einen Mann, der ein Messer in seiner Hand hielt und es an seinen Nacken legte. Dann redete er lange etwas, was ich nicht verstand, ergriff das Messer mit beiden Händen und schnitt sich selbst den Kopf ab. Der Kopf fiel wegen der Schärfe des Messers und der Heftigkeit des Schnittes zu Boden. Ich war darüber sehr verwundert. Der Sultan fragte: »Macht man so etwas auch bei euch?« Als ich antwortete: »Ich habe dergleichen noch nie gesehen«, lachte er und sagte: Das sind meine Sklaven. Sie töten sich aus Liebe zu mir.« Er befahl den Leichnam wegzuschaffen und zu verbrennen. So trugen ihn seine Offiziere, die wichtigen Personen des Reiches, Soldaten und Untertanen hinaus zur Verbrennung. Für die Kinder des Toten, seine Frau und seine Brüder setzte der Sultan eine großzügige Zuwendung fest. Sie wurden hoch geehrt auf Grund seiner Tat. Einer, der bei der Hofversammlung gewesen war, berichtete mir, dass in der Rede des Selbstmörders seine Liebe zum Sultan zum Ausdruck kam. Er habe erklärt, dass er sich aus Liebe töte, so wie sein Vater sich schon aus Liebe zu dem Vater des Sultans getötet hätte und sein Grossvater aus Liebe zu dem Grossvater des Sultans. Darauf zog ich mich zurück, und der Sultan schickte mir drei Tage lang gastfreundliche Gaben.

 

Erich Follath  
(*1949) 

Jenseits aller Grenzen
Auf den Spuren des großen Abenteurers Ibn Battuta durch die Welt des Islam
Deutsche Verlagsanstalt, München 2016

Er gilt als der »Marco Polo des Orients«: Ibn Battuta bereiste im 14. Jahrhundert weite Teile der damals bekannten Welt, seine dreißigjährige Odyssee führte ihn von Nordafrika über den nahen Osten und die Arabische Halbinsel bis nach Indien und China. Das einigende Band dieser Region war der Islam, den Battuta als Religion des Fortschritts und der Toleranz schildert. Siebenhundert Jahre später hat sich Erich Follath auf den Spuren des »Königs aller Reisenden« begeben und begegnet einer fundamental veränderten islamischen Welt.  »Jenseits aller Grenzen« ist die Suche nach einer der geheimnisvollsten Persönlichkeiten des Mittelalters, ein faszinierender Einblick in Geschichte und Gegenwart der islamischen Welt und eine große Reportage zu den aktuellen Brandherden der Weltpolitik.

(Klappentext, Auszug)

Justin Marozzi
(1970)

Islamische Imperien
Die Geschichte einer Zivilisation in fünfzehn Städten
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Suhrkamp Verlag, München 2020

Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter den Titel
»Islamic Empires. Fifteen Cities that Define a Civilization«
Allen Lane (London)

 Die islamischen Reiche schufen einige der schönsten und prachtvollsten Städte aller Zeiten. Dieses Buch befasst sich mit fünfzehn von ihnen und konzentriert sich auf jeweils eine Stadt in jedem der fünfzehn Jahrhunderte, die von der Zeit des Propheten Mohammed und der Geburt des Islam bis heute vergangen ist. Jede hat auf ihre Weise entscheidend zur Geschichte der Muslimischen Welt beigetragen. Dem westlichen Blick auf einen vermeintlich rückständigen Orient hält Justin Marozzi ihre Vielfalt und Errungenschaften entgegen: den Gelehrten, die sich im Haus der Weisheit in Bagdad versammelten oder das friedliche Zusammenleben unter muslimischer Herrschaft in Córdoba. 

(Klappentext, Auszug)

Tamim Ansary
(*1848)

Die unbekannte Mitte der Welt
Globalgeschichte aus islamischer Sicht
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2010

Die englische Originalausgabe erschein 2009 unter dem Titel
»Destiny Disrupted. A History of the World through Islamic Eyes«
Public Affairs (New York)

 Die islamische Welt, jahrhundertelang Zentrum der Zivilisation, ist zur Terra incognita geworden. Viel zu oft wird der Islam heute auf Extremismus und Terrorismus reduziert. Unser westliches Geschichtsbild wird der islamischen Kultur und ihrer Bedeutung für das Weltgeschehen in keiner Weise gerecht. Tamim Ansary erzählt Weltgeschichte auf neue Art: Detailreich und lebendig spannt er den Bogen vom Propheten Mohammed und den ersten Kalifen über das Osmanische Reich und die Kolonialzeit bis hin zur Gegenwart. Indem er unseren Blick öffnet für die islamische Perspektive, lässt er uns das Wesen des Islam – und damit auch die Hintergründe aktueller Konflikte – neu entdecken und verstehen. 

(Klappentext, Auszug)

Kontrapunkt

Robert Schumann (1810-1856) : Kinderszenen, op. 15 : I. Von fremden Ländern und Menschen (1838)

Perspektive 29

Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Urteile. Vorurteile. Fehlurteile. Gottesurteile. Todesurteile.
Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Liebe. Hassliebe. Eigenliebe. Knabenliebe. Tierliebe.
Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Spiele. Sexspiele. Heimspiele. Schattenspiele. Festspiele. 
Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Glaube. Aberglaube. Irrglaube. Unglaube.

Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Wissen. Fachwissen. Halbwissen. Unwissen.
Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Verständnis. Selbstverständnis. Missverständnis. Unverständnis.
Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Vermögen. Unvermögen. Durchhaltevermögen.
Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Bildung. Einbildung. Abbildung.

Unsere Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Eignung. Enteignung. Aneignung.
Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Verkauf. Abverkauf.
Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Erwerb. Broterwerb.
Weltsicht wurde, ist, wird bestimmt durch Gewinn. Lustgewinn.

Weltsicht prägt Urteile.
Weltsicht prägt Liebe.
Weltsicht prägt Spiele.
Weltsicht prägt Glauben.
Weltsicht prägt Wissen.
Weltsicht prägt Verständnis.
Weltsicht prägt Vermögen.
Weltsicht prägt Bildung.
Weltsicht prägt Eignung.
Weltsicht prägt Verkauf.
Weltsicht prägt Erwerb.
Weltsicht prägt Gewinn.

Doch wie erlangt man Weltsicht? Einsicht? Umsicht? Nachsicht? Rücksicht? Weitsicht? Übersicht?

Durch Reisen. Zum Beispiel.
Durch Einreisen. Abreisen. Anreisen. Ausreisen. Mitreisen. In der Realität. In der Fantasie.
Durch Reisen in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft.
Durch die Begegnung mit fremden und eigenen Literaturen, Speisen, Gewerken, Klängen, Kulturen, Naturen und Menschen.
Durch fremde und eigene Abenteuer in Morgen-, Abend-, Kron-, Mitglieds-, Märchen-, Urlaubs-, Vater- & Mutterländern.
Durch fremde und eigene Erfahrungen in Billiglohn-, Einwanderungs-, Entwicklungs-, Schwellen-, Asyl- & Transitländern.

Reisen zu den Wundern des Morgenlandes.
Reisen jenseits aller Grenzen.
Reisen in die Unbekannte Mitte der Welt.
Reisen durch die Geschichte islamischer Imperien. Zum Beispiel.

Reisen bedeuten Erfahrungsqualitäten.
Reisen deuten Erfahrungen.
Reisen klären Wahrnehmungen.
Reisen erklären Wahrnehmungsqualitäten.
Reisen bestärken Haltungsqualitäten. 
Reisen stärken Haltungen.
Reisen fordern Bewegung. 
Reisen befördern Bewegungsqualitäten.  

Reisen zeitigen Toleranz. Geduld. Mut. Gelassenheit. Staunen. Hoffnung. Zweifel. Entscheidungsfindungen. Zum Beispiel.
Reisen mit geschlossenen Augen & Ohren, mit verschlossenem Herz & Hirn zeitigen die Sieben Todsünden. Mindestens.
Reisebüros, Reiseveranstalter, Reisegesellschaften, Reisebegleiter und Reisebusse bevorzugen oftmals das Letztgenannte. Leider.

Wellnessreisen. Geschäftsreisen. Pauschalreisen. Grand-, Golf-, Strand-, Berg- & Stundenhotel. Vollpension. All inclusive. 
Die Trägheit des Herzens und das bleierne Hirn feiern hier oftmals abgrundtiefe Triumphe. 
Massen-, Klassen- & Kassentourismus. Die Pilgerreisen unserer Gegenwart.

Die Reisenden
Ibn Battuta (* 1304 in Tanger, Rechtsgelehrter), 
Erich Follath (* 1949 in Esslingen, Politikwissenschaftler),
Tamim Ansary (* 1948 in Kabul, Historiker) 
und der Engländer Justin Marozzi mit italienisch-preussischen Vorfahren, (* 1970, Reiseschriftsteller, Historiker, Journalist)
berichten über Begegnung durch Bewegung. Damals wie Heute. Und hoffentlich auch in Zukunft.

Berichten von Mekka – Damaskus – Bagdad – Córdoba – Jerusalem – Kairo – Fes – Samarkand – Konstantinopel – Kabul – Isfahan –
Tripolis – Beirut – Dubai – Doha – Tanger – Shiraz – Deli – Male – Jakarta – Hangzhou – Granada – Peking – Timbuktu – Mardin – Kaffa.
Über den Maghreb, den persischen Golf, das Rote Meer, die Malediven, Bengalen, den Irak und das Land der „Goldenen Horden“.

Berichten über islamische Kulturen, Imperien, Minderheiten, Mehrheiten, Rechtsschulen. Über „gelbe“ und „schwarze“ Erdenbürger.
Berichten über eine islamische Sicht der Welt. Über islamische grundierte Ein-, An-, Ab-, Um-, Nach-, Rück-, Weit- & Nachsichten.
Berichten über die Hidschra, Kalifen, Umayyaden, Abbasiden, Meriniden, Almohaden, Idrisiden. Über Gelehrte, Philosophen und Mystiker.

Vier ungeheuer notwendige Bücher. 
Vier ungemein hoffnungsfrohe Bücher. Bücher, welche subtil auf-, er- und abklären (könnten). 
Vier unverzichtbar diskursive Bücher. Bücher, welche den Leser einen längeren Zeitraum begleiten (könnten).

Pflichtlektüren sollte es nicht & niemals geben.
Sehnsucht nach Wissen sollte immer & jederzeit jedwede Pflichtverordnung ersetzen.
Der Wunsch nach einem verantworteten Miteinander ermöglicht Wendigkeit in Zeiten der Not. Ist existentielle Notwendigkeit.

(Renald Deppe)

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